Beschlüsse, Positionspapiere und Stellungnahmen

Die Grundlagen unserer Arbeit

Wir wollen ein Baden-Württemberg mitgestalten, in dem alle Jungen Menschen gerechte Bedingungen zum Leben und Aufwachsen vorfinden. Unsere Forderungen zum Erreichen dieses Ziels sind das Ergebnis von demokratischen Aushandlungsprozessen innerhalb des Landesjugendrings.

viele junge Menschen bei einer Versammlung halten Stimmkarten in die Luft

Positionspapier Gleichstellung von FLINTA*-Personen in Baden-Württemberg

Beschluss der Vollversammlung

Als Landesjugendring Baden-Württemberg stehen wir für eine Gesellschaft ein, in der alle Menschen unabhängig von ihrer geschlechtlichen Zuordnung gleichberechtigt behandelt werden und gleiche Rechte sowie Teilhabechancen genießen.

Uns ist Geschlechtervielfalt ein ebenso großes Anliegen wie die Gleichberechtigung von Menschen aller Geschlechtskategorien. Geschlecht darf weder heteronormativ, noch binär gedacht werden. Daher treten wir für Queerfeminismus ein: Dieser ist eine feministische Strömung, die auf der grundlegenden Vorstellung basiert, dass Sexualität, sexuelle und geschlechtliche Identität als gesellschaftlich-soziale Konstrukte zu betrachten sind. Rollenvorstellungen und Unterschiede zwischen den Geschlechtern werden also nicht als natürlich und angeboren, sondern als gelernt, anerzogen und gesellschaftlich geprägt verstanden.

Gleichzeitig spielt die Berücksichtigung von unterschiedlichen Ausgangspositionen, Erfahrungen und Mehrfachdiskriminierungen eine große Rolle.[1] Ein Feminismus, der INTA*[2]-Personen nicht explizit mitdenkt oder Differenzen zwischen Geschlechterkategorien zeichnet und damit Personen aufgrund ihrer Geschlechterkategorien bestimmte Rollen zuschreibt, entspricht nicht unserem Verständnis von Feminismus.

Wir betrachten es als unsere Aufgabe, junge Menschen zu ermächtigen, gängige Geschlechterklischees zu hinterfragen und ihre eigene Identität zu entwickeln. Dies erfordert eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit patriarchalen Strukturen und Denkmustern, sowie die Förderung von Menschen, die durch diese beeinträchtigt werden.

Obwohl in den letzten Jahren gesellschaftlich Einiges im Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit und -vielfalt verändert hat, werden FLINTA*[3] weiterhin strukturell benachteiligt und können so nicht die gleichen Rechte genießen wie Cis-Männer[4]. Mit Krisen wie der Corona-Pandemie zeigt sich ein Rollback in traditionelle Geschlechterrollen. Dadurch sind zum Teil Bewegungen hin zu Geschlechtergerechtigkeit rückgängig gemacht worden. Mit dem Erstarken von rechtsradikalen und -extremistischen Gruppierungen nehmen auch antifeministische Argumentationen und Haltungen zu.

Der Landesjugendring versteht es als seine Aufgabe, im Austausch mit der Landespolitik darauf hinzuwirken, dass junge Menschen in einer gerechteren Gesellschaft aufwachsen. Jugendliche formen als zukünftige Generationen die Gesellschaft. Da eine Aufgabe der Jugendarbeit darin besteht, Jugendliche bei der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu unterstützen, ist eine Umsetzung und Förderung von Gleichstellung zentral für die verbandliche Jugendarbeit.

Der Landesjugendring steht für:

  • Queer-Feminismus, der intersektional[5] gedacht wird,
  • die Förderung der Gleichstellung von FLINTA*-Personen in allen Lebensbereichen,
  • den Schutz junger Menschen, insbesondere von FLINTA*-Personen, vor Gewalt und Diskriminierung,
  • das Recht auf körperliche Selbstbestimmung von FLINTA*-Personen; insbesondere bedarf es Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit über reproduktive Gesundheit für junge FLINTA*-Personen und einer besseren Kostenübernahme von Verhütung durch gesetzliche Krankenkassen.
  • die Bestärkung und Ermächtigung von jungen und heranwachsenden FLINTA*-Personen durch die und in der verbandlichen Kinder- und Jugendarbeit.

Aus diesen Positionen sollen sich handfeste Konsequenzen für unsere verbandliche Arbeit ergeben. So wollen wir parallel zur Landtagswahl am 8. März 2026 den „Internationalen Tag für Rechte von Frauen“ für Aktionen zur Gleichstellung von FLINTA*-Personen nutzen und unsere eigenen Strukturen reflektieren.

Zur Vollversammlung des LJR im Frühjahr 2026 soll eine Selbstverpflichtung für den LJR und seine Mitgliedsverbände erarbeitet werden, die Leerstellen in Bezug auf Queer-Feminismus in unserer Arbeit identifiziert und Maßnahmen zur Gleichstellung anregt. Bei der Erarbeitung des Schutzkonzeptes des Landesjugendrings und in der Weiterentwicklung der Schutzkonzepte der Mitgliedsverbände soll explizit festgehalten werden, wie insbesondere der Schutz von FLINTA*-Personen in den Verbänden und innerhalb von Maßnahmen gewährleistet werden kann.

Außerdem ergeben sich folgende Forderungen an die Landespolitik:

1. Diversität und politische Teilhabe sichern

Landespolitik muss die tatsächlichen Verhältnisse in der Gesellschaft abbilden. FLINTA*-Personen sind in politischen Kontexten oftmals mit höheren Hürden und Zugangsbarrieren konfrontiert und müssen für gleiche Ämter mehr leisten als Cis-Männer[6], daher fordern wir:

  • Paritätsgesetz für den Landtag BW einführen
  • Quotenregelungen in Parteien und Gremien ausbauen
  • Barrieren für politisches Engagement abbauen
  • Politische Bildung für Mädchen* und FLINTA* Personen stärken
  • Die Anwendung von Gender-Budgeting[7] für den Landeshaushalt

2. Gendersensible Pädagogik in Schulen und der außerschulischen Bildung fördern

  • Weiterentwicklung der Leitperspektive „Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“ (2016)
  • Überarbeitung der Bildungspläne in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit
  • Fortbildungen für Fachkräfte

3. Schutz und Selbstbestimmung von FLINTA*-Personen gewährleisten

  • Angebote für den Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt sicherstellen und ausweiten – hierbei auch beachten, dass bestimmte FLINTA*-Personen höheren Schutz bedürfen, bspw. aufgrund ihrer Religion, Hautfarbe oder finanziellen Lage
  • Schutzräume wie Beratungsstrukturen und Frauenhäuser für FLINTA*-Personen stärken
  • Recht auf körperliche Selbstbestimmung von FLINTA*-Personen stärken: Zugang zu reproduktiver Gesundheit und Verhütungsmitteln verbessern, gesundheitliche Aufklärung leisten und über die Klinikversorgung die sichere Behandlung aller Schwangeren zu gewährleisten.
  • Sensibilisierung zur Erkennung und Maßnahmen zur Bekämpfung von Antifeminismus müssen langfristig, strukturell als auch finanziell gefördert werden
  • In der Landeskriminalstatistik soll geschlechtsspezifische digitale Gewalt gesondert aufgeführt werden

4. Faire Arbeitsbedingungen schaffen

  • Ehrenamtliche Mädchen*- und FLINTA*-Arbeit finanziell absichern
  • Gender Pay Gap abbauen
  • Sorgearbeit politisch und wirtschaftlich als solche anerkennen
  • Geschlechtsdiskriminierende Barrieren beim Zugang zu Ausbildungs- und Studienplätzen abbauen
  • Vermittlung von Berufsperspektiven jenseits von zugeschriebenen Geschlechterrollen
  • Die Infrastruktur der Care-Arbeit (Kindertagestätten, Schule, außerschulische (verbandliche) Jugendarbeit) muss finanziell hinreichend ausgestattet sein, sodass die Care-Arbeit nicht überwiegend auf FLINTA*-Personen zurückfällt

5. Medizinische Versorgung von FLINTA*-Personen stärken

  • die Stärkung der Geschlechtersensibilität in der Forschung und damit eine systematische Erhebung geschlechtersensitiver Daten, um den Gender Data Gap zu schließen, der systematischen Verzerrung der wissenschaftlichen Datenlage und damit der geschlechterdiskriminierenden Gesundheitsgefährdung entgegenzuwirken
  • die Erhöhung der Geschlechtersensibilität von gesundheitlichem Fachpersonal durch verpflichtende Module in Studiengängen und Ausbildungen in Medizin-, Gesundheits- und Therapieberufen
  • der männliche Körper darf in der Medizin und in der Forschung nicht als Norm gelten.

[1] Quelle: https://gemeinsam-gegen-sexismus.de/glossar-posts/queer-feminismus/ (Stand: 05.11.2025)

[2] INTA* steht für inter*, nichtbinär, trans*, agender und weitere Geschlechterkategorien außerhalb des binären Systems. Wir nutzen bewusst nicht den Begriff „divers“, der an anderen Stellen für INTA* Personen genutzt wird, da dieser eine Fremdbezeichnung ist und sehr selten von betroffenen Personen selbst gewählt wird.

[3] FLINTA* ist ein Akronym, das für Frauen, Lesben, Inter*, Nicht-binäre, Trans* und Agender-Personen steht.

[4] Cis ist eine Bezeichnung für Menschen, deren Geschlechtsidentität mit dem Geschlecht übereinstimmt, das ihnen bei ihrer Geburt anhand der Genitalien zugeschrieben wurde.

[5] Alle Menschen bringen eine Vielzahl von Merkmalen und Positionierungen mit, die sie als Individuen ausmachen. Manche davon können selbst beeinflusst werden, andere nicht. Weitere Merkmale werden von der Gesellschaft zugeschrieben, wie z. B. Geschlechterrollenbilder. Intersektionalität beschreibt die Tatsache, dass verschiedene Diskriminierungsformen aufgrund dieser (zugeschriebenen) Merkmale nicht einfach zusammengezählt werden können und sich addieren, sondern dass sie sich gegenseitig beeinflussen. So können neue Formen von Diskriminierung entstehen. Feminismus muss daher immer intersektional gedacht werden. Strukturell leiden FLINTA*-Personen stärker als cis Männer unter dem Patriarchat. Daneben kann beispielsweise die Hautfarbe, die Herkunft, das Einkommen, die Bildung, die sexuelle Orientierung, das Alter, eine Behinderung oder die Religionszugehörigkeit als zusätzliche Diskriminierung greifen. Diese gilt es immer explizit mitzudenken, zu reflektieren und in der Förderung zu berücksichtigen. (BDKJ, Feminismus im BDKJ – intersektional & queer, Mai 2024)

[6] Quelle: Lukoschat, Helga/ Köcher, Renate (2021): Parteikulturen und die politische Teilhabe von Frauen. EAF Berlin, S. 13f. / Lukoschat, Helga/ Belschner, Jana (2019): Macht zu gleichen Teilen. EAF Berlin. Diversity in Leadership, S. 10. / Kletzing, Uta; Lukoschat, Helga (2010): Engagiert vor Ort. Wege und Erfahrungen von Kommunalpolitikerinnen, S. 8ff.

[7] Gender Budgeting ist eine Anwendung des Gender Mainstreaming im Haushaltsprozess. Es bedeutet eine geschlechterbezogene Bewertung von Haushalten und integriert eine Geschlechterperspektive in alle Ebenen des Haushaltsprozesses. Durch Gender Budgeting werden Einnahmen und Ausgaben mit dem Ziel restrukturiert, die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern (Council of Europe, Gender budgeting – Final report of the Group of specialists on gender budgeting (EG-S-GB), 2005, S. 10).

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