Vorstandsbericht »Aktuelles aus der Jugendpolitik«
Jugendpolitische Rede von Alexander Strobel bei der VV 2/2024
-- Es gilt das gesprochene Wort --
Liebe Delegierte,
lieber Minister,
liebe Gäste,
Zuerst möchte ich mit einer für mich bedrückenden Entwicklung beginnen. Da ist zum einen die hohe Zustimmung für AfD und BSW auch unter jungen Menschen – hier ist mir das Wort „auch“ übrigens ganz wichtig – und hinterlässt bei mir vielerlei Bauchschmerzen, jedoch auch eine Hoffnung.
Bauchschmerzen, weil die AfD – auch bei uns im Landtag – für jedes Thema die Migrationspolitik bzw. Migrantinnen* und Migranten* zur Verantwortung zieht. Und die BSW will gerne wieder mit Russland zusammenarbeiten. So lange Russland die Ukraine angreift, ist das für mich und hoffentlich uns unvorstellbar. Aber was treibt junge Wähler*innen in die Fänge dieser Parteien mit den vermeintlich einfachen Antworten?
Da ist vermutlich viel Resignation dabei, sich nicht verstanden und gehört zu fühlen. Deshalb die klare Forderung bereits heute schon für die Landtagswahlen 2026: Liebe anwesende Politikerinnen und Politiker. Themen, die für Jugendliche in ihrer Lebenswelt entscheidend sind, müssen bereits in den Wahlprogrammen eine sichtbare Rolle spielen. Wie sehen unsere Schulgebäude aus? Macht es Spaß, sich hier bis zu 40 Stunden die Woche aufzuhalten? Werden junge Menschen an Diskussionen und Entscheidungen auf allen politischen Ebenen beteiligt? Stehen Angebote und Räume außerschulischer Angebote für Kinder und Jugendliche zur Verfügung oder werden sogar ausgebaut, weil es wichtige Orte der Bildung sind?
Hier werden wir uns für 2025 manches einfallen lassen, um die Parteien und Kandidierenden herauszufordern und unsere Arbeit und Qualität sichtbar machen. Bei Bildung übrigens nochmals zur Erinnerung: Studien sagen, von dem erlernten Stoff der Schule bleibt im Alter von 40 Jahren noch etwa 6 Prozent des Wissens übrig. Und wie ist das bei uns in der Jugendarbeit? Einmal erlebt, gelernt, umgesetzt vergisst man diese Erlebnisse und Erfahrungen meist ein Leben lang nicht mehr.
In all dem ist und bleibt für mich aber die Hoffnung und Gewissheit, dass junge Wähler*innen sehr volatil, also wechselnd, wählen, sie sich also auch wieder für andere Themen und andere Parteien begeistern können.
Zum anderen beschäftigen mich natürlich auch die Wahlen bzw. das Wahlergebnis in den USA und die neusten Entwicklungen im Bund stark. Und klar ist, dass in beiden Fällen Herausforderungen auf uns zukommen werden. Wie geht es für uns als Exportnation mit den USA weiter? Wird es zu Strafzöllen für eine eh schon gebeutelte Autoindustrie, die in BW nun mal dominiert, kommen? Wie geht es im Bund weiter? Wird es zu Kürzungen im Freiwilligendienst bzw. beim Bundesfreiwilligendienst kommen?
Aus dem jugendpolitischen Alltag
Doch nun „ganz frisch“ zu dieser Woche in eigenen Angelegenheiten. Am Dienstagabend haben wir in die neue Geschäftsstelle des Landesjugendrings nach Stuttgart-Vaihingen in die Haeberlinstraße eingeladen. Der Einladung sind über 100 Personen gefolgt. Neben den Begegnungen gab es auch eine große Neugier, sich die neuen Räumlichkeiten anzusehen. Dabei gibt die neue Geschäftsstelle ein ganz neues Bild ab. Keine herumhängenden Kabel mehr, freundliche und kommunikative Büros, die Möglichkeit, hybride Sitzungen abzuhalten und flexible Räume für gemeinsames Arbeiten. Hier möchte ich mich persönlich bei Ihnen, Herr Minister Lucha und ihren Mitarbeitenden des Ministeriums, stellvertretend Frau Rath, für die Unterstützung ganz herzlich bedanken. Nur durch die Kostenübernahme der höheren Miete und die Unterstützung bei der Anschaffung der Büroausstattung war der Umzug möglich. Was ich so mitbekomme, sind auch die Mitarbeitenden aller dort nun eingezogenen Landesorganisationen über das neue Haus der Jugendarbeit sehr dankbar.
Kurz nachdem das symbolische rote Band zur Eröffnung durch die Geschäftsführenden durchgeschnitten wurde, haben wir am Mittwoch früh im Landtag bei der Anhörung zum 52. Landesjugendplan für den Haushalt 2025/2026 Stellung bezogen. Dabei war mir der Dank an Abgeordnete und Minister sehr wichtig. Sie haben dafür gesorgt, dass der Landesjugendplan bei den Zuschüssen für Jugenderholung und Jugendbildung stark erhöht wurden und so eine qualitative Arbeit vor Ort ermöglichen. Gleichzeitig habe ich aber auch vorgebracht, dass die gleichbleibenden Mittel für die Institutionelle Förderung mittlerweile eine faktische Reduzierung um 45 Prozent darstellt. Das setzt nicht nur dem Landesjugendring selbst zu, sondern auch manchem Landesjugendverband unter Druck.
Der Landesjugendring würde gerne mit einer höheren finanziellen Ausstattung die Bereiche Ehrenamt und Engagement, Demokratiebildung, Beratungs- und Serviceleistungen zu Rahmenbedingungen der Kinder- und Jugendarbeit eigenständig abdecken. Außerdem sehen wir einen großen Bedarf beim Thema Kinderschutz. Hierzu gibt es ja heute Mittag von der JDAV auch einen Antrag dazu. Über den Masterplan Kinderschutz können bereits heute Anträge zur Erarbeitung und Implementierung eines Schutzkonzeptes auch von uns Verbänden an den Kinderschutzbund Baden-Württemberg gestellt werden. Und dennoch nehmen wir wahr, dass unsere Mitgliedsverbände auch gerne direkt vom Landesjugendring als ihr Zusammenschluss unterstützt werden wollen.
Der Haushalt soll vom Landtag Mitte Dezember beschlossen werden. Bis dahin werden wir nicht nachlassen, unsere Forderungen mit Nachdruck einzubringen.
Der Masterplan Jugend sowie der Bündnisschutz sind wertvolle Instrumente für uns in der Jugendarbeit. Der Bündnisschutz sichert uns zu, Haushaltsmittel in den nächsten Haushalt übertragen zu bekommen. Das schafft zusammen mit dem Masterplan Möglichkeiten, Projekte zu finanzieren, um auf Bedarfe der Jugendarbeit reagieren zu können. So werden derzeit davon beim Landesjugendring die Projekte „The Länd of Young Ehrenamt“, die „n-Challenges“, der „Strukturaufbau neuer Jugendorganisationen“ und die „Servicestelle Kinder- und Jugendbeteiligung Baden-Württemberg“ gefördert.
Vielen Dank auch an dieser Stelle. Und im Textteil zum Landesjugendplan steht, dass derzeit geprüft wird, Restmittel aus dem Masterplan zur Erhöhung der Förderung zentraler Aufgaben der Jugendorganisationen bereitzustellen. Vielleicht können Sie – Herr Minister – dazu ja später sagen, wie lange die Prüfung dauert und ob es berechtigte Hoffnung gibt, Inflationsrückstände damit wieder aufzuholen.
Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung
Zum gesetzlichen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ab dem Schuljahr 2026, welcher bereits in der Ferienzeit am 1. August 2026 beginnt, wird Dominik [Nawratil] in seinem Vorstandsbericht noch näheres erläutern. Aber es macht sich so langsam eine Ernüchterung breit, trotz intensiver Begleitung der fachlichen und politischen Diskussionen. Richtigerweise geht das Kultusministerium davon aus, dass die Ferienzeit nicht von Lehrerinnen und Lehrern abgedeckt wird. Ferien dürfen ja auch nicht Schule sein. Aber von wem dann? Werden unsere Angebote in der Ferienzeit rechtsanspruchserfüllend sein? Wie müssten Angebote aussehen, damit diese anspruchserfüllend sind? Hier bräuchte es dringend Klärung und ein Förderprogramm, um sich unabhängig von Monetarisierungsmitteln der Schule auf den Weg machen zu können, wie dies gemeinsam von Schulträger, Schule und Vereinen umgesetzt werden kann.
Ehrenamts-LÄND und Ehrenamtskarte
In der Frühjahrs-VV gab es einen Antrag „Baden-Württemberg als Ehrenamts-LÄND stärken“. Die dort formulierten Punkte haben wir in zahlreiche Gespräche eingebracht. So werden jährlich „Ehrenamtsfreundliche Arbeitgeber im Bevölkerungsschutz“ durch das Ministerium des Innern ausgezeichnet. Hier konnten wir in einem sehr guten Gespräch mit Staatssekretär Blenke unsere Überlegungen teilen, diese Auszeichnung doch für das Ehrenamt in der Jugendarbeit zu öffnen. In dem Gespräch zeigte sich Herr Blenke sehr offen und interessiert. Wir würden uns freuen, lieber Manne Lucha, wenn wir Sie als Minister und Vertreter des Sozialministeriums ebenfalls dafür gewinnen können. So gäbe es eine große Chance, Ehrenamt und freiwilliges Engagement sichtbarer zu machen.
Das Thema Ehrenamt beschäftigt uns auch in der Weiterentwicklung des „Gesetzes zur Stärkung des Ehrenamts in der Jugendarbeit“. Im Koalitionsvertrag ist eine Weiterentwicklung angekündigt. Wir legen dem Land nahe, sich dem Modell Hessen anzuschließen und dem Arbeitgeber die Lohnkosten für diese maximal zehn Tage zu ersetzen. Das wäre eine echte Stärkung des ehrenamtlichen Engagements und ein Booster für die Gewinnung von Mitarbeitenden z. B. für Freizeitmaßnahmen.
Da die verbandliche Kinder- und Jugendarbeit im hohen Maß auf Ehrenamtliche angewiesen ist, war die Einführung einer Ehrenamtskarte in vier Modellregionen ein Meilenstein. Der Modellversuch wurde zuletzt bis Ende März 2025 verlängert. Im Landeshaushalt sind zudem Mittel für eine weitere Umsetzung eingeplant. Alle Juleica*-Inhaberinnen und -inhaber haben die Voraussetzung für den Erhalt dieser Karte. Auch hierfür gebührt Ihnen, Herr Minister, mein Dank.
Allerdings sind die Vergünstigungen, die mit der Karte einhergehen, für Jugendliche maximal unattraktiv. Museen, Galerien, Theater, Klöster und Schlösser. Ich will den kulturellen Wert dieser Vergünstigungen nicht klein reden. Aber für junge Menschen wären Vergünstigungen in Kinos, Freibäder, Fahrschulen oder Fachgeschäfte wesentlich attraktiver. Wir bitten Sie, Herr Minister, sich persönlich dafür einzusetzen, dass auch kommerzielle Vergünstigungen mit aufgenommen werden. Diesen Wunsch hören wir von allen Seiten. Gerne stehen wir mit dem Wissen um die Juleica gerne auch für Beratung bei schlanken Prozessen zur Umsetzung einer solchen Lösung zur Verfügung.
Freiwilligendienst statt Pflichtjahr
Komme ich zu meinem letzten Thema, was aufgrund der Ereignisse im Bund schneller auf uns zukommen könnte, als gedacht: „Es hat uns doch früher auch nicht geschadet“ – das hört man häufig, wenn es um die Frage nach einer Einführung für ein Pflichtjahr für Alle geht. „Alle“ meint in diesem Zug übrigens nicht Alle, sondern meist „alle jungen Menschen“. Und es gibt sicherlich manches Für, aber vor allem vieles Dagegen.
Als Landesjugendring haben wir uns dazu bereits im Herbst 2022 positioniert. Je nachdem, welches Alter für die Pflicht herangezogen wird, kostet volkswirtschaftlich betrachtet die Einführung laut IFO-Institut vom Juli 2024 zwischen 20 und 79 Milliarden. Gleichzeitig wird in der Bundesregierung in Haushaltsentwürfen die derzeitigen Ansätze für den Freiwilligendienst stetig gekürzt. Aus Vorsicht reduzieren deshalb immer mehr Einsatzstellen ihre Einsatzplätze, was zu einem schleichenden Abbau von angebotenen Stellen führt.
Als Landesjugendring fordern wir deshalb alle Ebenen auf, die Freiwilligendienste in Bund und Land attraktiver auszustatten, bevor über die Einführung eines Pflichtjahres überhaupt nachgedacht werden sollte.
Ich bedanke mich für eure lange Aufmerksamkeit. Dieser Vollversammlung wünsche ich nun einen guten weiteren Verlauf, spannende Diskussionen, faire Wahlen und Allen gute Begegnungen.
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*Jugendleiter*innen-Card