Vorstandsbericht »Aktuelles aus der Jugendpolitik«

Rede von Alexander Strobel auf der VV1/2023, 22./23.4.2023

Schön, dass wir hier in Heidelberg zusammenkommen können. Zusammenkommen, um gemeinsam an und über Themen zu diskutieren, uns über verschiedene Standpunkte auszutauschen, um dann aber auch am Ende – ganz demokratisch – wieder zusammenzukommen. Zusammenkommen aber auch, um Menschen und Wegbegleiter des Landesjugendrings zu verabschieden und neue Personen oder Personen in neuen Ämtern willkommen zu heißen.

Nach zwei Jahren steht eine in besonderer Weise andere Vollversammlung an.

Besonders nicht nur, weil sie zweitägig ist. Besonders vor allem auch deshalb, weil dies die erste Vollversammlung nach der neuen Satzung ist. Besonders deshalb, weil wir keine Fachvorstände mehr wählen und besonders, weil sich der Vorstand von insgesamt 8 Personen auf 5 Personen verkleinern wird. Von ehemals drei Personen im geschäftsführenden Vorstand und fünf Fachverständen, nun ein Vorstandssprecher oder eine Vorstandssprecherin sowie vier weitere Vorstandspersonen.

Besonders vielleicht auch, weil mit Stefan Genschow, geborener Habrik, Claudia Ernst und Kai Jehle-Mungenast drei ehemalige Vorstände aus persönlichen Gründen nicht mehr zur Wahl stehen. Vielen Dank an euch! An der Stelle danke ich aber auch allen Kandidierenden und Wünsche für morgen gutes Gelingen – auch wenn heute schon klar ist, dass mindestens eine Person nicht in den Vorstand gewählt werden wird.

Am Ende einer Vorstandsperiode gilt es auch, zurückzublicken. Aber ich will nicht beim Blick nach hinten stehen bleiben, sondern diesen durchaus auch nach vorne richten.

Wie wird man später mal wohl auf die Jahre 2021 und 2022 zurückblicken? Mir fallen da zwei Schlagworte ein: Corona als weltumspannende Pandemie mit weltweiten Lockdowns, wie es sie wohl in der Geschichte zuvor nie gegeben hatte. Und mir fällt der 24. Februar 2022 ein, als über die News-Ticker der Einmarsch von Russland in die Ukraine bekannt wurde. Und beides sind einschneidende Ereignisse für unsere Kinder- und Jugendarbeit gewesen und sind es auch heute noch.

Corona

Im März 2020 nimmt Corona durch Ski-Urlauber richtig Fahrt auf. Erste Tote werden in Deutschland gemeldet. Die Politik handelt und schließt Kitas, Schulen, Geschäfte und verbietet auch alle Angebote der Kinder- und Jugendarbeit.

Lockdown.

Die Hoffnung, dass damit alles schnell wieder vorbei sein wird, hat sich nicht bewahrheitet. Die Regulierung hat manche skurrile Blüte getrieben. Für die Kinder- und Jugendarbeit wurde schnell eine eigene Corona-Verordnung erlassen. Gleichzeitig gab es eine Corona-AG beim Sozialministerium. Neben dem Ministerium waren die Landesverbände der Kinder- und Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit dabei. Vielen Dank an dieser Stelle nochmals an alle Beteiligten, allen voran Buddy Dorn. Aber auch die Mitarbeitenden an faqcorona@ljrbw.de haben Zoom-Meetings zu „Jugendarbeit geht weiter“ binnen Wochenfrist organisiert, manches Telefonat geführt, manche E-Mail geschrieben und manche Grafik erstellt. Im Rückblick springt vor meine Augen auf die Kampagne „Jugend geht baden“, die extrem schnell und unter großer Beteiligung – DANKE hierfür – stattgefunden hat. Und - zu damaligen Zeiten - größeren Schaden an Kindern und Jugendlichen und an den Freizeiten abgewendet hat. Aber auch die Organisation von 200.000 Corona-Testkits durch die Spende vom Drogerie-Markt dm war einzigartig.

Während Corona sprach man dann von Krise, nicht wissend, dass es Krisen werden. Kaum war Corona vorbei, überfiel Russland die Ukraine. Neben unendlichem menschlichem Leid auf beiden Seiten sprangen bei uns die Energiepreise in bis dato unbekannte Höhen. Auch das Speiseöl und andere Lebensmittel wurden rar und teuer. So manche Kalkulation der Teilnahmebeiträge geriet ins Wanken.

Ich glaube, wir wissen nicht so richtig, welches der richtige Weg zum Frieden ist und noch weniger, welcher Weg gelingt. Dass wir aber mehr Frieden – im Übrigen nicht nur in der Ukraine – brauchen, ist klar und ist die Grundlage der Menschlichkeit und unseren Wohlstand. Vielleicht gibt es ja spontane Ideen, wie wir von dieser Vollversammlung eine Friedensbotschaft in die Welt senden können.

Nicht nur eine Medaille hat zwei Seiten. Gehören Glück und Unglück, Hass und Liebe oder Krieg und Frieden genauso zusammen, wie dass es ohne junge Menschen auch keine alten oder ältere Menschen geben würde?

Wahlalterssenkungen

Seit langer Zeit setzt sich der Landesjugendring für direktere Beteiligungsmöglichkeiten junger Menschen ein. Dies führte uns auch im Vorfeld der Landtagswahl 2021 zur Gründung eines Bündnisses mit dem Ziel, das Wahlalter bei Landtagswahlen in Baden-Württemberg abzusenken. Am 6. April 2022 beschloss der Landtag die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahren bei Landtagswahlen. Erstmalig dürfen 16-jährige damit bei der nächsten Landtagswahl 2026 mitbestimmen.

Am 10. November 2022 hat dann der Deutsche Bundestag das aktive Wahlrecht für Europawahlen auf 16 Jahren abgesenkt. Damit können 16-jährige bei der nächsten Europawahl 2024 ihre Stimme abgeben. Und zuletzt hat der Landtag am 29. März 2023 mit großer Mehrheit beschlossen, dass bei Kommunal-, Kreis- und Regionalwahlen 16-jährige nicht nur, wie bereits seit 11. April 2013 beschlossen, ihre Stimme abgeben dürfen, sondern auch gewählt werden können (Passive Wahlrecht).

Damit wurde eine zentrale jugendpolitische Forderung des Landesjugendrings nun vielen Jahren umgesetzt. Wir danken den beteiligten Fraktionen im Landtag GRÜNE, CDU und SPD für diesen wichtigen Schritt, junge Menschen mehr in den Blick zu nehmen. Ist das Recht, ab einer Wahl teilzunehmen schon ein Grundrecht, so ist die Möglichkeit einer aktiven Mitgestaltung seines persönlichen Umfeldes in der Kommune oder im Landkreis jugendpolitisch zu begrüßen.

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Wäre nun eine Bundestagsabgeordnete oder ein Bundestagsabgeordneter anwesend, würde ich noch zurufen: Und jetzt seid ihr noch dran. Wir brauchen auch die Wahlalterssenkung auf 16 Jahren bei der nächsten Bundestagswahl 2025.

Ganztagsbetreuung

Kommen wir zu einem leidigeren Thema: dem Ganztagsfördergesetz. Damit wird ab 2026 ein Rechtanspruch für die 1. Klasse, dann aufwachsend, zur Betreuung an 40 Stunden die Woche, an 5 Tagen sowie mit nur 4 Wochen Schließzeit im Jahr eingeführt. Als Landesjugendring setzen wir uns dafür ein, dass die Betreuung sozialraumorientierte Angebote für die Kinder braucht. Wir setzen uns dafür ein, dass Jugendverbände Zugänge bekommen und wir setzen uns dafür ein, dass die erbrachten Leistungen auch finanziell honoriert werden. Eine weitere Verschulung der Kinder darf dabei nicht stattfinden. Wir fordern eine Strategie vom Land und eine Vision vom Kultusministerium, nur allein – sie werden aktuell verweigert.

Ehrenamt und Strukturen fördern

Wir bilden Demokratinnen und Demokraten aus.

Wir sorgen mit unseren Angeboten für den Kit in der Gesellschaft.

Wir fördern, bilden aus und ermöglichen ehrenamtliches Engagement.

Wir stellen geschützte Lernfelder für Kinder und Jugendliche zur Verfügung.

Wir übernehmen wichtige Aufgaben in Projekten für die Landesregierung.

Wir sind die Vorsorge, psychologische Hilfen dagegen sind meist die teure Nachsorge.

Aber den Verbänden und dem Landesjugendring geht die finanzielle Luft aus. Bei der Anhörung zum Landesjugendplan am 8. November 2022 für den Doppelhaushalt 2023/2024 habe ich den Koalitionsvertrag zitiert. Dort steht auf Seite 78: „(…) Dazu bedarf es auch einer strukturellen und finanziellen Absicherung der Regelstrukturen und Einrichtungen der Jugendarbeit (…).“

Mit dem 51. Landesjugendplan wurde aber das eingefrorene Niveau von 2007 auch für die nächsten zwei Jahre zementiert. Von 2007 bis 2021 wurde das Geld jedoch schon über 35 Prozent weniger Wert. Und die derzeitigen Herausforderungen bei Inflation und Personalkostensteigerungen verschärfen das Problem einer strukturellen Unterfinanzierung nur noch täglich weiter. Seit Jahren kann der Landesjugendring seinen Haushalt nicht mehr ausgleichen. Gleichzeitig bekommen wir in politischen Gesprächen immer wieder den Bauch gepinselt. Jetzt ist aber nichts mehr da, was gepinselt werden kann.

Darum haben wir uns seit einiger Zeit in politischen Gesprächen immer wieder für eine dringend benötigte Erhöhung der institutionellen Förderung eingesetzt. Auch, damit alle Mitgliedsorganisationen des Landesjugendrings davon profitieren. Deshalb begrüßen wir sehr den Antrag der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Jugend, die Forderungen mit Nachdruck der Politik zuzutragen.

Dem Landesjugendring gelingt es 2023 nur einen ausgeglichenen Haushaltsplan aufzustellen, weil wir Mitarbeitende der Geschäftsstelle mit den Aufgaben von neu genehmigten Projekten beauftragen können.

Die zwei Projekte, finanziert durch den Masterplan Jugend, heißen: n-Challenges – früher hatten wir das immer mal wieder unter „Weil nicht alles auf Bäumen wächst“ vorgestellt. Das Projekt wird in Kooperation mit der AGL, der Arbeitsgemeinschaft der Landjugendverbände, durchgeführt. Und: The Länd of young Ehrenamt – als Reaktion auf schwindendes Ehrenamt. Demografie und Corona hinterlassen hier tiefe Spuren. Spannend ist das Projekt auch, weil dies in vier Regionen mit Regionalpartnern umgesetzt wird: Stadtjugendring Heidelberg, Stadtjugendring Freiburg, Sportjugend Main-Tauber-Kreis und den Kreisjugendring Biberach. Themenschwerpunkte sind dabei „Neue Engagementformen“, „Ehrenamt und Migration“, „Ehrenamt im Sport“ und „Ehrenamt im ländlichen Raum“.

LKJHG

Jugendpolitisch beschäftigt uns in diesem Jahr auch noch die Reform des Landeskinder- und Jugendhilfegesetz (kurz: LKJHG) intensiv. Wir setzen uns in dem laufenden Beteiligungsprozess des Sozialministeriums in 9 Arbeitsgruppen vor allem dafür ein, dass die rechtlich einzigartigen Jugendhilfeausschüsse im Ländle überall Beschlussrecht haben und nicht wie heute zum Teil zu beratenden Gremien degradiert sind.

Außerdem kämpfen wir dafür, dass die Jugendverbände weiterhin in den Jugendhilfeausschüssen gesetzt sind. Unsere dringende Bitte deshalb an euch: Nehmt die Jugendhilfeausschüsse in den Städten und Kreisen ernst! Schickt jugendpolitisch gewiefte und sprachfähige Vertreterinnen und Vertreter in die Jugendhilfeausschüsse! Nutzt euer Antragsrecht dort, um Themen zu setzen. Nirgendwo sonst können wir jugendpolitisch mehr direkten Einfluss nehmen, weil wir dort stimmberechtigte Mitglieder eines verfassten politischen Gremiums sind.

Das ist auch deshalb so wichtig, weil die Kommunen über das Sozialgesetzbuch 8 (SGB VIII) zur angemessenen Förderung der Jugendarbeit verpflichtet sind. Wir versuchen, dass im Landesausführungsgesetz zum SGB VIII, also dem LKJHG, die Förderpflicht konkretisiert und präzisiert wird. Wenn uns das gelingt, dann müssen aber unsere Vertreterinnen und Vertreter vor Ort in der Praxis dafür sorgen, dass die Zuschüsse für Jugendverbände und -ringe fließen. Denn dort ist es Pflicht – und ich sage es hier und heute auch und trotz, dass kein Landespolitiker oder Landespolitikerin da ist: Der in den letzten Jahren aufgewachsene Landesjugendplan – denkt an die Tagessätze von 25 Euro - ist gesetzlich zum Teil „nur“ eine freiwillige Leistung des Landes. Zur Förderung verpflichtet sind zu aller erst die Stadt- und Landkreise. Hier ist also eine, wenn nicht die zentrale Stellschraube.

Seit 2008 hat sich der Förderungsanteil der Jugendarbeit an den im wesentlichen kommunalen Jugendhilfeausgaben in Baden-Württemberg von über 6% auf nun rund 3% fast halbiert und liegt damit nahe an der Bedeutungslosigkeit. Diesen Trend müssen wir umkehren!

Wir werden mit der Akademie der Jugendarbeit zusammen bestimmt im Zuge der Reform des LKJHG auch unser Qualifizierungsangebot für die Vertretungen in Jugendhilfeausschüssen ausbauen.

Soziales Pflicht- oder Zwangsjahr

Auf der letzten Vollversammlung am 12. November 2022 hatten wir einen Beschluss gefasst, dass der Landesjugendring ein Pflicht- oder Zwangsjahr ablehnt. Dabei sprechen wir uns klar für eine Stärkung und Attraktivierung der Freiwilligendienste aus. Allerdings plant die Bundesregierung aktuell, die Förderung des Freiwilligendienstes um 30 Millionen Euro sogar zu kürzen. Wenn ein Pflichtjahr die Antwort ist, was ist denn dann eigentlich die Frage dazu?

Wer gesellschaftlichen Kit will, muss bestehende Angebote wie FSJ und BFD sowie die verbandliche Kinder- und Jugendarbeit ausbauen und attraktiver gestalten und nicht eine Scheindebatte um ein Pflichtjahr führen.

Vieles Könnte man noch sagen, vieles haben wir jedoch auch im vorliegenden Arbeitsbericht ausgeführt. Ich bedanke mich für Eure Aufmerksamkeit und bin gespannt, welche Punkte meines Berichts oder des Arbeitsberichts bei Euch auf Zustimmung oder auch eine andere Sichtweise gefallen ist.

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