Vorstandsbericht „Aktuelles aus der Jugendpolitik“

Rede von Alexander Strobel auf der VV 2/2022, 12.11.2022

Liebe Delegierte aus den Jugendverbänden und Ringen,
Liebe Gäste aus Landespolitik, Ministerium und Partnerorganisationen,

im Demografiebericht 2015 des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales Baden-Württemberg wurden die 2020er Jahre als das „kritische Jahrzehnt“ des Ehrenamts in der Kinder- und Jugendarbeit bezeichnet. Das bestätigt auch die aktuelle Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Landesamtes für die Altersgruppe der 14- bis 27-Jährigen. Das Potential ehrenamtlich engagierter junger Menschen umfasste im Jahr 2017 zusammen 1,7 Mio. Personen. Bis 2030 – also in gerade einmal 7 Jahren – werden es nur noch 1,5 Mio. und damit knapp 12% weniger sein. Verstärkt wird der Verlust um die Anzahl der Personen, die sich in das Gemeinwohl überhaupt einbringen wollen.

Es ist absehbar, dass es ohne Gegensteuerung einen Mangel an Ehrenamtlichen geben wird, die durch ihr Engagement die Angebote in der Kinder- und Jugendarbeit und später den gesellschaftlichen Zusammenhalt tragen. Nicht ohne Grund hat die ARD in dieser Woche Filme und Beiträge unter den Themenschwerpunkt „Wir gesucht – Was hält uns zusammen?“ gestellt.

Aber nicht nur die demografische Entwicklung sind Herausforderungen, vor denen die Jugendverbände stehen. Die Corona-Pandemie der letzten beiden Jahre verstärkt bzw. beschleunigt den Rückgang der Zahl an ehrenamtlich engagierten jungen Menschen und wirkt als Katalysator. Viele von Euch kennen das selbst aus der Verbandsarbeit. In den letzten beiden Jahren war das klassische Modell der Rekrutierung von Nachwuchs im Ehrenamt aufgrund der Pandemie ausgesetzt. 2020 und 2021 konnten viele Aktivitäten der Jugenderholung und außerschulischen Jugendbildung nicht oder nur eingeschränkt stattfinden. Teilnehmende an Veranstaltungen wurden so im Folgejahr nicht zum Mitarbeiter* oder zur Mitarbeiterin*. Zu befürchten ist eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale. Rückmeldungen vom Sommer 2022 bestätigen diese Effekte bei einzelnen Jugendverbänden.

Vergangenen Dienstag war der Landesjugendring zur Anhörung des 51. Landesjugendplan für die Haushaltsjahre 2023/24 im Landtag eingeladen. Wir argumentierten vor den Landtagsausschüssen für Bildung und Soziales, dass für Demokratie und den Zusammenhalt der Gesellschaft in Baden-Württemberg das ehrenamtliche Engagement wichtig ist.

Bereits im Koalitionsvertrag von 2021 „Jetzt für morgen“ steht auf Seite 78:

„(…) Dazu bedarf es auch einer strukturellen und finanziellen Absicherung der Regelstrukturen und Einrichtungen der Jugendarbeit (…)“

Doch: alle Zahlen für die Kinder- und Jugendarbeit und auch die der Jugendsozialarbeit in Baden-Württemberg sind für 2023/2024 fortgeschrieben. Von einer Inflationsanpassung oder gar einem Ausbau keine Spur! – und ja, es wurde auch keine Kürzung vorgenommen.

Die institutionelle Förderung der Jugendverbände, des Landesjugendrings und der Akademie der Jugendarbeit wurde zwischen dem 41. Landesjugendplan im Jahr 2007/2008 und heute nominell nicht erhöht. Mit dem 51. Landesjugendplan wird bei der institutionellen Förderung der Kinder- und Jugendarbeit das Niveau von vor 16 Jahren auch für die nächsten beiden Jahre eingefrorene. Wir bezeichnen die Strukturförderung der Kinder- und Jugendarbeit angesichts der Inflation schon 2022 als schwindsüchtig. Für den Zeitraum des Doppelhaushaltes 2023/24 gilt das umso mehr. So kommen wir rein über die Inflation gerechnet zum Schluss, dass die Mittel hierfür gegenüber 2006 um satte 35 Prozent durch die kalte Progression „gekürzt“ wurden.

Um Projekte durchführen zu können, benötigen Verbände eine gesunde Basisförderung und – diese Anmerkung sei mir gestattet – auch die Anforderungen ans Ehrenamt: Führungszeugnis, Hygieneschulung, Statistiken, Corona-Verordnungen, Datenschutz, Projektanträge, … werden immer größer und erfordern meist eine Unterstützung durch hauptamtliche Strukturen.

Zwar nicht wie von uns erhofft, aber dennoch teilweise erfreulich waren die Ausführungen von Sozialminister Lucha am Dienstag. Er und wir sind froh, dass der Bündnisschutz die Kinder- und Jugendarbeit vor Haushaltsrestriktionen, sprich Kürzungen, bewahrt. Minister Lucha versprach, dass das Haus der Jugendarbeit (Anm. der Red.: hier sitzen die Geschäftsstellen von LJR, AGJF, LAGO und Akademie der Jugendarbeit) im Falle eines Umzuges finanziell unterstützt wird. Die Tagessätze bei der Förderung von Jugendbildung und Jugenderholung werden im Doppelhaushalt stabil gehalten und der Corona-Sonderzuschuss des Bundes wird vom Land übernommen. Außerdem übergab er uns mündlich sozusagen einen Bewilligungsbescheid für unser geplantes Projekt „The Länd of Young Ehrenamt“.

Wir sind froh, dass wir in den vergangenen Jahren unsere politischen Netzwerke ausbauen konnten.

Darauf führen wir auch zurück, dass sich scheinbar in ausverhandelten Haushalten doch noch etwas bewegen lässt. Aber nicht nur in Bezug auf Finanzen ist das der Fall. Eine aufwändige Sommerkampagne ließen wir zugunsten gezielter Einladungen zu Freizeitenbesuchen sein. Minister Lucha und die Ministerinnen Schopper und Walker, die vier Fraktionsvorsitzenden der demokratischen Parteien im Landtag, Anne Kenner als jugendpolitischer Sprecher sowie die Präsidenten von Städte- und Gemeindetag sowie der Geschäftsführer des Landkreistags begleiteten wir zu Kinder- und Jugendfreizeiten.

Viele Forderungen aus Beschlüssen unserer Vollversammlungen können wir bei diesen Begegnungen thematisieren: Von „Veranstaltungsorten für Großveranstaltungen“ über „Ringe in der Fläche unterstützen“ bis „Planbare Zeit für Ehrenamt“ und „Wahlrecht für jungen Menschen“. Viel diskutierten wir aber v. a. auch über den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung – übrigens auch das TOP-Thema beim Empfang der Jugendverbände – zu dem heute ein Positionspapier zur Beschlussfassung steht.

Zum letztgenannten Thema gibt es gerade viel politischen Streit, denn die Weichen werden jetzt gestellt. Unsere ablehnende Stellungnahme zur Änderung des Schulgesetzes, unsere Wortmeldungen im Landesjugendhilfeausschuss und gegenüber Landtagsabgeordneten zeugen davon.

Ich erwarte heute eine hoffentlich spannende Diskussion des Positionspapiers. Ich hoffe, dass wir mit dem Beschluss der Vollversammlung als Rückenstärkung in den nächsten Wochen und Monaten erfolgreich die Interessen der Jugendverbände und -ringe bei den Weichenstellungen zur Ganztagsbetreuung vertreten. Denn die Rahmenbedingungen, die jetzt gesetzt werden, sie werden uns spätestens ab 2026 massiv betreffen.

„Niemand darf in den Krisen verloren gehen“,

so Ministerpräsident Kretschmann vor zwei Wochen. Recht hat er in doppelter Hinsicht. Keine und keiner darf aus dem Blick geraten und es gibt nicht eine Krise, sondern leider müssen wir von vielen Krisen sprechen. Die Herausforderungen für uns alle, aber v.a. in der Politik sind so zahlreich, wie schon lange nicht mehr:

Jede der Krisen und ihre Vielzahl betrifft natürlich auch die Kinder- und Jugendarbeit als Teil der Gesellschaft:

  • Junge Menschen – viele darunter aus Jugendverbänden – sorgen dafür, dass die Klimakrise nicht mehr von der Politik auf den Sankt-Nimmerlein-Tag vertagt werden kann.
  • In der Coronakrise war die Kinder- und Jugendarbeit zeitweise verboten oder massiv eingeschränkt, Kinder und Jugendliche gerieten aus dem Blick.
  • Die Energiekrise bereitet uns insbesondere mit unseren Einrichtungen der Jugendbildung und Jugenderholung Sorge – und das direkt nach den Corona-Jahren, in denen bei vielen die Luft zum Atmen dünn geworden ist.
  • Schließlich pflegen Jugendverbände weiterhin die Willkommenskultur gegenüber Geflüchteten und sorgen für Teilhabe derjenigen, die in Not zu uns kommen.

Ich hatte eingangs die Veränderungen im Ehrenamt angesprochen.

Ehrenamt gehört zur DNA der Jugendverbände und Jugendringe.

Ehrenamt ist aber auch eine DNA des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Nach der jüngsten Steuerschätzung rechnet das Land in den kommenden beiden Jahren mit Steuermehreinnahmen von 2,5 Milliarden Euro. Wenn die Landesregierung für unseren Gesellschaftskit wummsen will – um mit den Worten unseres Bundeskanzlers zu sprechen – dann gibt sie sich in den kommenden 5 Wochen bis zur Verabschiedung des Haushaltes am 22. Dezember im Landtag noch einen Ruck und verdoppelt den Ansatz für die Jugendverbände, den Landesjugendring und die Akademie der Jugendarbeit in den kommenden beiden Jahren. Das sind Mehrausgaben von 1,4 Millionen Euro pro Jahr. Wir sind überzeugt, dass nirgendwo im Haushaltsplan des Landes eine Zukunftsinvestition mit weniger Geld und mehr Wumms getätigt werden kann.

Falls ihr, liebe Vertreterinnen* und Vertreter* der Jugendverbände und -ringe, in den kommenden Wochen Gespräche führt – dann lasst nicht locker!

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