Mini-Studie Ausbildung und Engagement
Planbare Freiräume fehlen
Planbare Freiräume fehlen
Ergebnisse der im Jahr 2013 durchgeführten Umfrage zur Vereinbarkeit von ehrenamtlichen Engagement und Studium oder Ausbildung
Im Spätsommer und Herbst 2013 wurden ehrenamtliche Freizeitleitungen im BDKJ Rottenburg-Stuttgart[1] gefragt, ob die Ausübung ihres ehrenamtlichen Engagements im Rahmen ihrer Ausbildung oder durch Anforderungen des Studiums erschwert oder gar unmöglich gemacht wurden. 30 Personen nahmen an der Umfrage teil, ihre Antworten zeigen größere und kleinere Stolpersteine auf, die das ehrenamtliche Engagement in der Jugendverbandsarbeit erschweren.
So kann man im Rahmen eines dualen Studiums nur während der Praxisphasen Urlaub nehmen. Fällt die Freizeit in den Zeitraum einer Theoriephase, hat man eben Pech. Selbst für Studierende an Unis oder Hochschulen erschwert die kurzfristige Festsetzung von Prüfungsterminen die Planung für ehrenamtliches Engagement. Sehr viele Hausarbeiten sind auch während der vorlesungsfreien Zeit zu erledigen, die eine Abwesenheit von z.B. zwei Wochen fast nicht erlauben. Auch bleibt nach einem Zeltlager keine Zeit mehr für den oftmals dringend nötigen „Urlaub von der Freizeit“.
Obwohl viele Hochschulen den Blick über den Tellerrand anregen und ehrenamtliches Engagement wichtig finden, unterstützen die wenigsten Einrichtungen dies tatsächlich aktiv, indem sie z.B. Prüfungszeiträume flexibler gestalten oder bei der Terminierung von Blockpraktika Spielräume ermöglichen.
Viele Ehrenamtliche machen auch deutlich, dass sie in ihr ehrenamtliches Engagement viel Zeit investieren und sie daher länger mit einer Abschlussarbeit oder der Absolvierung von Prüfungen beschäftigt sind. Über 2/3 der Befragten haben in ihren Antworten berichtet, dass sie aufgrund von Verpflichtungen aus Studium oder Ausbildung ihr Engagement einschränken mussten. Auch die Organisation von Freizeiten erschwert dies enorm, wenn Zusagen nur noch kurzfristig gegeben werden können:
„Die ehrenamtliche Tätigkeit wurde wegen dem vollen Stundenplan des Studiums erschwert, denn man muss bestimmte Veranstaltungen zu einem bestimmten Semester fertig haben, deshalb muss man bei der ehrenamtlichen Tätigkeit leider kürzer treten.“
„Prüfungen/Praktika/Laborübungen lagen in der Regel in den Ferien. Termine kamen zu kurzfristig (teilweise kamen Klausurtermine erst wenige Wochen vorher, ohne etwas dagegen tun zu können). Somit hat man sich zwar so ab Januar für eine Sommerfreizeit als Betreuer gemeldet, konnte aber hundertprozentig erst im Juni/Juli zusagen.“
Keine Abstufung nach Art der Ausbildung
Auf die konkrete Frage,wo die Ausübung des ehrenamtlichen Engagements erschwert wurde, zeigte sich, dass kein Bereich davor „sicher“ ist: an der Dualen Hochschule, der Uni, der Hochschule oder eben im Ausbildungs- und Praktikumsbetrieb – überall lauern große und kleine Stolperfallen:
„[Mein Engagement wurde erschwert] während der Ausbildung, durch mangelndes Verständnis und die Sorge, Arbeitskraft zu verlieren durch die Gewährung von Sonderurlaub, seitens der Arbeitgeber.“
„Viele Praktikumsstellen geben einem erst sehr spät Bescheid.“
„An der Dualen Hochschule, da ich während der Theoriephase an der Hochschule keinen Urlaub nehmen kann und Anwesenheitspflicht habe, sowie in meinem kooperierenden Unternehmen, da mir dort für den Einsatz im Zeltlager kein Sonderurlaub gewährt wird.“
Daraufhin wollten wir wissen, ob eine Lösung gefunden werden konnte oder ob das Engagement einschränkt oder gar beendet werden musste. Manche Antworten zeigen das ganze Dilemma:
„Nachdem dies immer eine enorme Hürde darstellte und die Nerven immer blank lagen, habe ich die Mitarbeit (…) beendet und nun bleibt mir nichts als die Erinnerung an vier schöne Sommer (…).“
„Ich bin während dem Zeltlager 1x abends 130km [zum Studienort] gefahren, habe dort geschlafen und habe am nächsten Tag die Prüfung geschrieben. Erfolgreich. Die andere Prüfung war am Tag nach der Abreise der Teilnehmer, an dem normalerweise die Betreuer noch das Lager in Ordnung bringen. Ich bin dann mit den Teilnehmern abgereist und hatte leider auch keinen Erfolg.“
„Einem Antrag auf Prüfungsfristverlängerung wurde damals von der Fakultät nicht stattgegeben, da es (O-Ton) ‚keinen Spielraum für ehrenamtliche Tätigkeiten‘ gab.“
Freistellung fürs Ehrenamt ist Vorteil für Ausbildungsstätten und Universitäten
Ob sich die Ausbildungsstätten damit jedoch im Wettbewerb um die besten Köpfe einen Gefallen tun, ist fraglich. Jedenfalls kann das Ergebnis auch wie folgt aussehen:
„Ich habe auf die Studienmöglichkeit an den betreffenden Orten verzichtet.“
Oft allerdings finden sich Antworten, die zeigen, dass die Ehrenamtlichen enorme Anstrengungen unternehmen, um wenigstens zum Teil mit dabei sein zu können:
„Deutliche Einschränkung der Dauer (3 Tage statt wie geplant 3 Wochen) - Zeit durch Gleittage (Stundenausgleich wurde eingefordert – keine Beurlaubung)“
„Ich habe trotzdem als Freizeitleiterin am Zeltlager teilgenommen und schreibe meine Thesis nun mit 2 Wochen weniger Zeit.“
„Nachdem mir gesagt wurde, dass definitiv kein Ausweichtermin, Terminverschiebung oder mündliche Einzelprüfung an einem anderen Termin möglich wäre, musste ich mit der mir zur Verfügung stehenden Lernzeit auskommen. Während dem Zeltlager hatte ich mir zwar vorgenommen zu lernen, man kommt aber einfach nicht dazu. Somit habe ich die Prüfung schlecht vorbereitet geschrieben, mit dem Risiko durchzufallen. Glücklicherweise hat es aber doch noch gereicht.“
Die Ehrenamtlichen boten sich als Springer an, arbeiteten zu einem späteren Zeitpunkt mit, unterbrachen ihr Engagement und investierten immer wieder viele Urlaubstage, weil ihnen der eigentlich zustehende Sonderurlaub nicht gewährt wurde.
Besonders ärgerlich erscheint in diesem Zusammenhang, dass die ehrenamtlich Engagierten immer wieder nicht nur von alltäglichen Hürden und Hemmnissen berichten, sondern trotz klarer gegenteiliger Rechtslage und trotz eines Schreibens der BDKJ-Ferienwelt für die Ausstellung eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses eine Gebühr entrichten mussten: Nicht genug, dass die Beantragung und Ausstellung des erweiterten Führungszeugnisses mit einem hohen Aufwand verbunden ist, zwei Drittel der Befragten zahlten darüber hinaus in den vergangenen Jahren eine Gebühr beim Bürgermeisteramt ihrer jeweiligen Gemeinde.
Fazit
Der verdichtete Takt in Ausbildung und Studium, zunehmend verschulte und damit unflexiblere Studienzeiten sowie die geringe Bereitschaft von Betrieben aber auch Hochschulen Ehrenamt durch (bezahlte) Freistellung zu fördern, erschweren ehrenamtliches Engagement. Die bislang hohe Bereitschaft junger Menschen, sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich zu betätigen wird dadurch bedroht oder gar unmöglich gemacht. Sie brauchen, das zeigen die Ergebnisse dieser Umfrage sowie andere Studien[2] eindrucksvoll, planbare Freiräume für ehrenamtliches Engagement, den Abbau formaler Hürden und die Freiheit von wirtschaftlichen Zwängen[3].
Thomas Schmidt, LJRBW, 17.01.2014
Bilder
1: BDKJ
2: "Theresa Eisenhut" / www.jugendfotos.de, CC-Lizenz(by-nc)