in einer Discokugeln spiegeln sich die Vertreter*innen der Jugendverbände bei einer Vollversammlung

Stellungnahme zum Entwurf des Gesetzes über die Kinder- und Jugendhilfe in Baden-Württemberg

Sehr geehrte Frau Höckele-Häfner,
sehr geehrter Herr Feyerabend,

gerne nehmen wir Stellung zum Entwurf des Gesetzes über die Kinder- und Jugendhilfe in Baden-Württemberg (LKJHG) und Änderung des Jugendbildungsgesetzes nehmen.

Vorneweg bedanken wir uns ausdrücklich beim federführenden Jugendreferat des Sozialministeriums für den vorbildlichen Beteiligungsprozess, der die Erarbeitung des Entwurfs begleitete. In diesen Beteiligungsprozess wurden alle relevanten Akteur*innen umfassend einbezogen. Er war fachlich von der intensiven Abwägung deren verschiedener Perspektiven geprägt.

Die Stellungnahmen der Arbeitsgruppe wurden von breiter Mehrheit beschlossen, abweichende Voten wurden protokolliert und dem Abschlussbericht beigefügt. Er ist zur Transparenz neben Empfehlungen des Landesjugendkuratoriums und der Dokumentation der Jugendanhörung durch die Servicestelle Kinder- und Jugendbeteiligung auf der Homepage des Sozialministeriums veröffentlicht.

In diesem Zusammenhang begrüßen wir die neue Gliederung zur Herstellung einer besseren Übersichtlichkeit und Relevanz der unterschiedlichen übergreifenden Zielsetzungen ausdrücklich.

Was leider fehlt:

§ 10 Landesjugendplan

Der seitherige § 10 zur Erstellung eines Landesjugendplans wurde gestrichen. Wir können diesem Schritt folgen, wenn er nicht ersatzlos erfolgt, sondern eine zeitgemäße Weiterentwicklung der verbindlichen Befassung mit Jugendpolitik geschieht.

Wir bitten Sie deshalb, gemeinsam mit dem Landesjugendring dem Gesetzgeber ein strukturiertes Verfahren vorzuschlagen, wie eine zeitgemäße regelmäßige parlamentarische Befassung zur Kinder- und Jugendpolitik und zu den Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe erfolgen und gesetzlich normiert werden kann, um die Lücke durch die Streichung des geltenden § 10 des LKJHG zu schließen. Als eine Möglichkeit sehen wir analog zum Bund eine periodische Kinder- und Jugendberichtserstattung für Baden-Württemberg.

Kooperation Jugendhilfe und Schule

Wir hatten für eine Unterarbeitsgruppe zur intensiven Befassung mit dem Ganztagsfördergesetz im Rahmen der Novellierung des LKJHG plädiert. Aus übergeordneten Gründen konnte sich die Arbeitsgruppe im Beteiligungsprozess leider nicht mit der für Baden-Württemberg derzeit bedeutendsten bundesgesetzlichen Normierung im Rahmen der Weiterentwicklung des SGB VIII beschäftigen.

Wir fordern deshalb in unserer heutigen Stellungnahme, eine gesetzliche Rahmung zur Kooperation von freier sowie öffentlicher Kinder- und Jugendhilfe mit Schule ein. Sie ist landesgesetzlich sowohl im LKJHG als auch im Schulgesetz Baden-Württemberg zu implementieren. Zudem liegt es in der Verantwortung des Landes, durch eine Rahmenvereinbarung Inhalte und Grundsätze der Kooperation zwischen Trägern der öffentlichen und freien Kinder- und Jugendhilfe und Schule untergesetzlich zu regeln.

Unser entsprechender Formulierungsvorschlag für das LKJHG, das korrespondierend im Schulgesetz aufzunehmen ist, orientiert sich an den landesgesetzlichen Regelungen im Bundesland Nordrhein-Westfalen:

§ X Zusammenarbeit von Kinder- und Jugendhilfe und Schule

  • Die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe und die Träger der freien Jugendhilfe sollen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben mit den Schulen zusammenwirken. Sie sollen sich insbesondere bei schulbezogenen Angeboten der Jugendhilfe abstimmen.
  • Die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe fördern das Zusammenwirken durch Sicherstellung erforderlicher Strukturen. Dabei sollen sie diese so gestalten, dass eine sozialräumliche pädagogische Arbeit gefördert wird und die Beteiligung der in diesem Sozialraum bestehenden Schulen und anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe gesichert ist.
  • Die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe wirken darauf hin, dass im Rahmen einer integrierten Jugendhilfe und Schulentwicklungsplanung ein zwischen allen Beteiligten abgestimmtes Konzept über Schwerpunkte und Bereiche des Zusammenwirkens und über Umsetzungsschritte entwickelt wird.
  • Eckpunkte für Rahmenbedingungen, Inhalte und Grundsätze der Kooperation von Jugendhilfe und Schule regelt eine landesweite Rahmenvereinbarung.

Zu den im Gesetzesentwurf enthaltenen Regelungen nehmen wir nun im Folgenden entlang der neuen Gliederung Stellung:

Zu § 2: Vorrangige Ziele der Kinder- und Jugendhilfe

Der Entwurf entspricht vollumfänglich dem Diskussionsergebnis des Beteiligungsprozesses und findet unsere Zustimmung.

Zu § 3: Ausgestaltung der Kinder- und Jugendhilfe

Zu § 3 Abs. 3: Die explizite Betonung des Schutzes von Kindern und des Erhalts des Kindeswohls begrüßen wir.

Zu § 3 Abs. 8: Die Erweiterung und Anerkennung eines umfassenden Bildungsauftrags der Kinder- und Jugendhilfe folgt der fachlich anerkannten Realität und pointiert insbesondere den Auftrag der Kinder- und Jugendarbeit nach SGB VIII Abs. 3. Wir sind daher sehr froh über diese Einfügung.

Zu § 3 Abs. 9: Die Aktualisierung um digitale Lebenswelten junger Menschen ist zeitgemäß und wird daher begrüßt.

Zu § 4: Beteiligung von Kindern und Jugendlichen

Die Aufnahme eines eigenständigen Paragrafen im allgemeinen Teil des LKJHG zur Beteiligung von jungen Menschen wird von uns außerordentlich begrüßt.

Zu § 4 Abs. 1 Satz 2: Wir plädieren für folgende Ergänzung (unterstrichen) Sie sind rechtzeitig, in geeigneter Weise, transparent und möglichst umfassend zu unterrichten und wirken an der Entscheidungsfindung mit.

Dadurch wollen wir sicherstellen, dass der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Form der Beteiligung und das Maß an Einfluss auf eine Entscheidung definieren muss. Sonst reicht im Zweifel zur Information ein Aushang am Rathaus.

Zu § 5: Selbstorganisierte Zusammenschlüsse

Der Entwurf entspricht vollumfänglich dem Diskussionsergebnis des Beteiligungsprozesses und findet unsere Zustimmung.

Der Bundesgesetzgeber hat bei der Einfügung des § 4a SGB VIII diesen begrifflich problematisch mit »Selbstorganisierte Zusammenschlüsse zur Selbstvertretung« überschrieben. Nach § 12 Abs. 2 waren zuvor bereits Jugendverbände und Jugendgruppen Selbstorganisationen. Diese Problematik der Begrifflichkeit schafft Verwirrung und ggf. Konkurrenz ist aber landesgesetzlich nicht zu heilen.

Zu § 6: Ombudsstellen

Die Einrichtung von Ombudsstellen ist eine wichtige Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe., Ihre gesetzliche Normierung in diesem Artikel unterstützen wir.

Zu § 7: Örtliche Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe

Zu § 7 Abs. 2 Satz 1: Die Präzisierung des Beschlussrechtes durch Bezugnahme auf die bundesgesetzliche Regelung halten wir aus Erfahrung für unbedingt notwendig.

In der Vergangenheit wurde in mehreren Landkreisen der Jugendhilfeausschuss rechtswidrig als ein beratendes Gremium in der Satzung gefasst. Weder Landesrechtsvorbehalt noch Satzung kann § 71 Abs. 4 SGB VIII einschränken.

Während die Verwaltung die laufenden Geschäfte erledigt, hat der Jugendhilfeausschuss ein Beschlussrecht in allen grundsätzlichen Angelegenheiten der Kinder- und Jugendhilfe. Mit dieser verantwortlichen Beteiligung von engagierten Bürgerinnen und Bürgern sowie Fachkräften der Jugendhilfe entsteht eine „Zweigliedrigkeit der Behörde Jugendamt“, die einzigartig in der deutschen Verwaltungsstruktur ist. Diese aus dem Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) ins Achte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) übernommene Zweigliedrigkeit der Behörde soll die Bedeutung freier Träger und des ehrenamtlichen Engagements für die Belange von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien widerspiegeln. Die Zweigliedrigkeit ist Ausdruck des Gebots der partnerschaftlichen Zusammenarbeit von öffentlicher und freier Jugendhilfe.

Zu § 8: Jugendhilfeausschuss

Zu § 8 Abs. 1: siehe § 7 Abs. 2 Satz 1

Zu § 8 Abs. 3 Satz 3: Hier sollte die mittlerweile gesetzlich normierte geschlechtliche Vielfalt berücksichtigt werden.

Zu § 8 Abs. 8: Die Hervorhebung der Möglichkeit zu den Tagesordnungspunkten insbesondere junge Menschen als Sachverständige und Betroffene hinzuzuladen, wird unter dem Gesichtspunkt der Ermächtigung zur Selbstvertretung von uns begrüßt.

Zu § 9: Überörtliche Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe

Zu § 9 Abs. 2 Satz 1: analog zu § 7 Abs. 2 Satz 1 und § 8 Abs. 1 muss auch hier eine Präzisierung im Sinne der bundesgesetzliche Regelung nach § 71 Absatz 4 Satz 1 SGB VIII festgelegt werden.

Zu § 10: Landesjugendhilfeausschuss

Zu § 10 Abs.3: Die unveränderte Zusammensetzung der stimmberechtigten Mitglieder des Landesjugendhilfeausschusses wird von uns ausdrücklich begrüßt. Die hervorgehobene Rolle der Spitzenverbände gegenüber einzelnen Dach- oder Sammelorganisationen wird damit zurecht fortgesetzt.

Zugleich erfährt der Landesjugendhilfeausschuss im Rahmen der beratenden Mitglieder eine Erweiterung. Diese ist vor dem Hintergrund der zunehmenden gesellschaftlichen Ausdifferenzierung zwar grundsätzlich nachvollziehbar, wird allerdings die Arbeitsfähigkeit des Gremiums weiter herausfordern.

Zu § 10 Abs.5: Der Bedeutung des Landesjugendhilfeausschusses sollte hier Rechnung getragen werden, in dem die obersten Landesjugendbehörden zur Teilnahme an den Sitzungen verpflichtet werden.

Zu § 15: Grundlagen der Leistungsfinanzierung

Die Neuformulierung der Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und ihrer korrespondierenden finanziellen Ausstattung wird aus Klarstellungsgründen ausdrücklich begrüßt.

Zu § 15 Abs. 2: Die explizite Aufführung von sogenannten objektiven Rechtspflichten, die zwar keinen subjektiven Rechtsanspruch beinhalten, dennoch keine allein freiwilligen Aufgaben darstellen, halten wir für hilfreich. Auch und gerade diejenigen Formen der Kinder- und Jugendhilfe, die keinem subjektiven Rechtsanspruch unterliegen, sind zentral für das Gemeinwesen und präventive Sozialpolitik. Der Hinweis auf eine Leistungsvereinbarung für Gegenstände objektiver Rechtspflichten gemäß § 77 SGB VIII unterstreicht die unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten und ist daher zu begrüßen.

Der besondere Hinweis auf das Subsidiaritätsprinzip in der Kinder- und Jugendhilfe gemäß § 4 Abs. 2 SGB VIII finden wir ausgesprochen wichtig.

Die Anerkennung von Drittmitteln als Eigenleistungen entspricht der notwendigen Finanzierungsrealität vieler Vereine und Verbände der Kinder- und Jugendarbeit, sodass die Aufnahme dieser Möglichkeit der Anerkennung unterstützt wird.

Zu § 19: Umsetzung der Kinder- und Jugendhilfeplanung

Zu § 19 Abs. 2 Satz 2: Die Einbeziehung überörtlicher Zusammenschlüsse anerkannter Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe ermöglicht es Spitzenverbänden, fachliche Entwicklungen vor Ort zu begleiten und lokale, teilweise ausschließlich ehrenamtlich getragene Strukturen in Planungsprozessen zu unterstützen. Der Landesjugendring als Spitzenverband hat sich dafür im Beteiligungsprozess stark gemacht und unterstützt diesen Passus. Analog zur Unterstützung des KVJS Landesjugendamts für die kommunalen Jugendämter kann somit eine versierte Planung verbessert werden. Dies fördert - wie in der Begründung des Referentenentwurfs aufgeführt - eine partnerschaftliche und dialogische Zusammenarbeit.

Zu § 19 Abs. 5: Die praxisrelevante Querschnittsfunktion der Kinder- und Jugendhilfeplanung kommt in diesem Absatz zum Ausdruck. Dies soll insbesondere auch die notwendige Beteiligung von jungen Menschen selbst miteinschließen. Wir finden das wichtig.

Zu § 22: Kinder- und Jugendarbeit

Zu § 22 Abs. 4 Satz 2: Die explizite Aufnahme der Förderung der Ausbildung Ehrenamtlicher in der Kinder- und Jugendarbeit begrüßen wir außerordentlich. Sie ist vor dem Hintergrund der wachsenden Herausforderung für Vereine und Verbände, immer weitergehende Rahmenbedingungen zu erfüllen, dringend notwendig. Als ehrenamtsfreundliches Bundesland ist eine derart verankerte Unterstützung damit folgerichtig.

Wir hätten uns zudem gewünscht, dass es im LKJHG nicht nur beim Verweis auf das Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes in der Jugendarbeit bleibt, sondern Synergien für die ebenfalls geplante Novellierung durch eine Integration bei inhaltlicher Aktualisierung des Gesetzes in das LKJHG genutzt werden.

Zu § 22 Abs. 5: Die Unterstützung und Stärkung der Kinder- und Jugendarbeit in ihrer Entwicklung und in ihrer Infrastruktur ist ein wichtiger Gelingensfaktor. Viele Jugendverbände und Gruppierungen können dabei nicht oder nicht mehr auf eigene Räumlichkeiten zurückgreifen, sodass die Unterstützung und Bereitstellung öffentlicher Räumlichkeiten ein wichtiges Signal der Förderung der Kinder- und Jugendarbeit darstellt.

Zu § 22 Abs. 6: Wir begrüßen sehr den ausdrücklichen Verweis auf die Förderverpflichtung nach den §§ 74 und 79 SGB VIII.

Zu § 23: Vielfalt und Formen der Kinder- und Jugendarbeit

Die Darstellung der Vielfalt der Angebotsformen in der Kinder- und Jugendarbeit ist unserer Meinung nach gelungen. Darin kommt auch zum Ausdruck, dass der Erhalt der Kinder- und Jugendarbeit in unterschiedlicher Form eine objektive Rechtspflicht begründet, ohne dass subjektive Rechtsansprüche darauf bestehen.

Wir hoffen, dass wir mit unserer Stellungnahme im Rahmen dieser Anhörung zur Weiterentwicklung des Gesetzesentwurfes beitragen können.

Mit herzlichen Grüßen
Alex Strobel Vorstandsprecher

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