in einer Discokugeln spiegeln sich die Vertreter*innen der Jugendverbände bei einer Vollversammlung

Freiwilligkeit stärkt die Demokratie und den Zusammenhalt

Für eine Stärkung der Freiwilligendienste statt eines neuen Zwangsjahres

Der Landesjugendring lehnt ein soziales Pflicht- oder Zwangsjahr für junge Menschen oder eine neuartige Form eines Baden-Württemberg-Jahres ab. Er setzt sich für eine Stärkung und Attraktivierung der Freiwilligendienste als soziales Erfolgsmodell ein.

In regelmäßigen Abständen wird auf Landes- und Bundesebene unter dem Deckmantel des Fachkräftemangels im Pflegesektor oder als Antwort auf den demografischen Wandel ein verpflichtender Sozialdienst für junge Menschen reflexartig ins Spiel gebracht. Befürworter*innen erhoffen sich einen Beitrag gegen die Entsolidarisierung der Gesellschaft. Ein Zwang widerspricht unseren Prinzipien der Jugendverbandsarbeit. Statt den Wert des freiwilligen gesellschaftlichen Engagements zu untergraben, sollte das Erfolgsmodell des Freiwilligendienstes gestärkt werden. Der Landesjugendring spricht sich daher für eine Aufwertung des bestehenden Freiwilligendienstes in Form des FSJ, FÖJ, BFD und ESF und gegen eine mögliches Pflicht- oder Baden-Württemberg-Jahr aus.

Freiwilligendienste sind keine billigen Arbeitskräfte

Unsere Gesellschaft braucht Antworten und Lösungen auf die bekannten Heraus­forderungen, beispielsweise in der Pflege und in Inklusion, Integration und Bildung. Eine Dienstpflicht ist keine passende Antwort auf die Herausforderungen des derzeitigen Fachkräftemangels und Entlohnungsdefizits im Gesundheits- und Pflegesektor. Freiwilligendienstleistende sind keine billigen Arbeitskräfte, ebenso ist ein solches Engagement- und Orientierungsjahr kein Ersatz für eine professionelle Tätigkeit.

Generationengerechtigkeit

Wer die Debatte eines sozialen Pflichtjahres der Jugend führt, führt die Debatte auf dem Rücken derer, die es ausbaden müssen: es ist zutiefst unsolidarisch, eine bestimmte Personengruppe für die Versäumnisse an anderer Stelle in die Pflicht zu nehmen. Gesellschaftliches Engagement ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die alle Bevölkerungsgruppen betrifft.

Chancengleichheit und Bildungschancen

Ein gemeinsamer Jahresdienst führt auch nicht zu einem Ausgleich der ungleichen Lebensverhältnisse, die in unserer Gesellschaft durch die unterschiedlichen Ausgangschancen für jede*n Einzelne*n bestehen. Freiwilligendienste sind Orientierungs- und Bildungsgelegenheiten und ermöglichen gerade durch ihren freiwilligen Aspekt nachhaltiges und soziales Lernen. Dieses soziale Lernen und ein Verantwortungsgefühl können nicht über eine Verpflichtung oder gar einen Zwang erreicht werden.

Sich freiwillig für ein Engagement eingesetzt zu haben, fördert Selbstwirksamkeit und bestärkt die Haltung, dass freiwilliges Engagement etwas Gutes ist. Diese positiven Erfahrungen sind eine Möglichkeit, junge Menschen für einen sozialen Beruf zu begeistern.

Das erfordert auch eine gute pädagogische Begleitung und Anleitung. Etwas, das bei einem Pflichtjahr angesichts des Fachkräftemangels ebenso wenig adäquat abgedeckt werden kann.

Rahmenbedingungen stärken

Daher lehnen wir ein verpflichtendes Sozialjahr sowie ein „Baden-Württemberg Jahr“[1] ab. Stattdessen müssen die bisherigen Freiwilligendienste gestärkt und attraktiver ausge­staltet werden. Dazu zählt auch, dass im Landes- und Bundeshaushalt ausreichend Mittel für die Dienste zur Verfügung gestellt werden

Wir fordern, die bestehenden Freiwilligendienste entsprechend auszubauen und auszustatten, sodass alle, die einen Freiwilligendienst leisten möchten, dazu auch die Möglichkeit bekommen. Verbesserungen der Attraktivität und Rahmenbedingungen von bestehenden Diensten sind bei weitem noch nicht erreicht und ausgereizt. Ein auskömmliches Leben muss auch während eines Freiwilligendienstjahres möglich sein.

Ein qualitativer Ausbau der Freiwilligendienste würde es mehr jungen Menschen ermöglichen, sich aus eigenem Antrieb und aus freien Stücken für ein gesellschaftliches Engagement entscheiden zu können und somit selbstbestimmtes Engagement und Lernen zu verbinden.

Mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sollte der bestehende Freiwilligen­dienst für alle Altersgruppen geöffnet werden. In den bestehenden Strukturen ist eine qualitative Begleitung des Dienstes verankert. Somit gibt es keine Notwendigkeit zivilgesellschaftlich gewachsene Strukturen durch einen staatlichen Dienst zu unterwandern.

Der Landesjugendring setzt sich auf Landes-, sowie in seinen Vertretungsstrukturen auf Bundesebene für folgende Punkte ein:

  • Es findet ein Austausch mit den Regierungsfraktionen zu diesem Thema statt
  • Keine Konkurrenz zu bestehenden Freiwilligendiensten
  • Verbesserung und Steigerung der Attraktivität der bisherigen Rahmenbedingungen von Freiwilligendiensten. Mögliche Anreize sollen sein:
    • Angemessene Vergütung für alle! Wer sich Vollzeit in einem Freiwilligendienst engagiert, sollte nicht von Dritten abhängig sein.
    • Anerkennung, z.B.:
      • Anrechnung eines Freiwilligendienstjahres als Wartesemester
        (0,5 Notenpunkte)
      • Anrechnung bzw. Anerkennung eines Freiwilligendienstjahres als soziale Qualifikation oder Pflichtpraktikum in Studiengängen und Ausbildungsgängen
      • Rentenpunkt für ein Jahr Freiwilligendienst (analog zu Erziehungszeiten)
    • #freiefahrtfuerfreiwillige
    • Befreiung von Rundfunk- und Fernsehgebühren
  • Organisation einer gesamtgesellschaftlichen Werbekampagne an Schulen und in der allgemeinen Öffentlichkeit für einen Freiwilligendienst und den damit verbundenen Dienst an der Gesellschaft.

Stuttgart, den 12.11.2022

 

[1] Beschluss der CDU-Baden-Württemberg auf ihrem Landesparteitag im Oktober 2022.

Zurück